© Hofmann&Lindholm
Alibis © Hofmann&Lindholm
Alibis© Hofmann&Lindholm
Alibis© Hofmann&Lindholm
Alibis© Hofmann&Lindholm
© Hannah Hofmann

Alibis

Intervention / Inszenierung

Mit 'Alibis' setzen Hofmann&Lindholm ihre Zusammenarbeit mit Kompliz_innen fort, die das Funktionieren des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft mit subversiver Tatkraft unter die Lupe nehmen. Spezialisten im Alter zwischen 21 und 70 Jahren legen Fährten in eigener Sache. Dabei werden sie zu Rechercheuren der Gegenwart, zu Protagonisten in einem skurrilen Thriller - ohne Täter und Verbrechen. 'Alibis' kann als Beitrag einer grotesken Lebensversicherung verstanden werden, als Akt zur Erprobung von Möglichkeiten der Wirklichkeit, von Geschichte und deren Konstruktionen.

Audio-Trailer

Mit: Bodo von Borries, Maike Hesse, Stefan Lobner und Holger Stocks
Konzept, Text, Regie, Kamera, Schnitt, Ton: Hannah Hofmann, Sven Lindholm
Raum: Oliver Seebach , Hannah Hofmann, Sven Lindholm

'Alibis' ist eine Koroduktion von Hofmann&Lindholm mit dem FFT (Düsseldorf) und dem Theaterhaus Gessnerallee (Zürich), die zum Festival Politik im freien Theater eingeladen wurde. Gefördert durch das Kulturamt der Landeshautstadt Düsseldorf, das Kulturamt der Stadt Köln, den Fonds Darstellende Künste e.V., sowie die Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf.

2006 entstand - ebenfalls unter der Regie von Hofmann&Lindholm - eine Hörfassung, die von Deutschlandradio Kultur urgesendet und anschließend vom Bayrischen Rundfunk übernommen wurde.

Termine
2005
Gastspiel

Schauspiel Köln
2005
Politik im freien Theater

HAU (Berlin)
2004
Theaterhaus Gessnerallee (Zürich)
2004
Uraufführung

FFT (Düsseldorf)
Rezensionen
Erzählen. Narrative Spuren in den Künsten, Ulrike Hentschel, Gundel Mattenklottt (HG), Schibri-Verlag, 2010
Experten, Komplizen und Erinnerungsspieler
(...) es geht hier nicht um die echte persönliche Mitteilung einer Erfahrung, sondern - wie bereits der Titel "Alibis" nahe legt, um die Konstruktion von Handlungen, die so aus- und aufgeführt werden, damit andere zu Zeugen/Zuschauern werden, ein Agieren zum Zwecke der Beoabachtung. Dieser Vorgang, der sehr viel Ähnlichkeit mit dem Theaterspielen hat, führt gleichzeitig ironisch vor, wie Identität und sozialer Alltag konstruiert werden, wie das Selbst zum Effekt verschiedener Inszenierungsstrategien gemacht wird.
Ulrike Hentschel
Neue Zürcher Zeitung, 21. Januar 2005
Kulturwissenschaftliche Untersuchungen mit Unterhaltungswert, Biographien-Bastelei mit Bühnenwirksamkeit – dies wird dem jungen Kölner Konzeptkünstler-Team Hofmann & Lindholm immer wieder attestiert, wenn es seine Mitspieler erst auf die Strasse schickt, dann auf die Bühne. [...] Theater, nein, Theater sei es eigentlich nicht, sagt Hannah Hofmann und lacht, wenn sie über das spricht, was an den Abenden von Hofmann & Lindholm über die Bühne geht. Doch der Weg fort vom Theater hat hin zum Theater geführt [...]. Und sie fanden die Form, die Hofmann und Lindholm mittlerweile ihr Markenzeichen nennen: die ‚subversive Gebrauchsanweisung’, system-unterlaufend und unterhaltsam zugleich. Um solche Gebrauchsanweisungen für jedermann und jeden Tag zu stricken, schicken die zwei selbsternannten Gesellschaftsforscher jeweils Laien als Experimentatoren auf die Piste – Subversion als Feldversuch. [...] Aus solchen Erfahrungen entsteht der Text, den die junge Autorin, Regisseurin und Filmschaffende aus Hameln und der gebürtige Hamburger zusammenstellen. Gesprochen wird er von den ‚Spezialisten’ selbst, von jenen Leuten, die sich aufgemacht haben ins Labor, das Alltag heisst. Lebenswirklichkeit und Bühnenwirklichkeit fliessen buchstäblich spielerisch ineins: Versuchstheater, Authentizitätsvariété. [...] Diese Art protokollarisch-dokumentarisches Theater, die den Versuchsbericht der Spezialisten ohne szenische Aufbereitung, ohne Zierrat auf die Bretter hebt, irritiert – und polarisiert. Diesmal, in ‚Alibis’, lautet das Thema der Untersuchung ‚Selbstwahrnehmung’ – durch den fremden Blick und durch den eigenen, im öffentlichen Raum und im privaten. Eine Heilpädagogin, ein Bankangestellter, ein Unternehmensberater und ein Oberstleutnant a. D. haben mitgespielt. Sie erzählen uns, was passiert, wenn man 24 Stunden unter Beobachtung steht: Wie (ver-)formt sich das Ich, wenn immer einer zuschaut? Und wenn keiner zuschaut? Der Oberstleutnant etwa hat alle Uhren um eine Stunde vorgestellt. Der Tag rast vorbei, und plötzlich steht er mit sechzig Minuten geschenkter Zeit da, irgendwo in der Leere, und jeder Atemzug dröhnt wie ein Paukenschlag in den Ohren. Und was bleibt übrig von jemandem, der einen Tag lang Touristen durchs Foto gelaufen ist und immer mitabgebildet wurde? Alibis bedeutet übersetzt anderswo – und meint jene Melancholie, die uns erfüllt, wenn wir spüren, dass uns unser eigenes Leben immer wieder wegrutscht, entgleitet, beim Arbeiten, in der Freizeit, beim Leben. Wir sehen uns selbst nicht, deshalb sehnen wir uns so sehr danach, dass andere uns sehen.
Westdeutsche Zeitung, 2. Juni 2004
Wer bin ich? Was zeichnet mich als Individuum aus? Wo ist mein Platz in der Gesellschaft? Wie funktioniert eine solche Gemeinschaft und welchen Spielraum hat der Einzelne in ihr? Das sind einige Fragen des Lebens, die man sich gehäuft und konzentriert als Teenager stellt. Multimedial gehen Hannah Hofmann und Sven Lindholm mit ihrer Inszenierung 'Aspiranten' in den FFT-Kammerspielen diesen Erkundungen und Phänomenen nach. Das Stück handelt von fünf jungen Leuten, die die Gesellschaft als ein funktionierendes System begreifen, in dem sie selbst gerne Anwärter auf tragende Rollen wären. Jedes System hat Regeln und Regelmäßigkeiten, dementsprechend assimilieren die Fünf sich, ahmen nach - und täuschen. Ein kurioser Abend nimmt seinen Lauf. So nutzt Jenja Korolov die Schadowstraße nach dem Motto 'shop until you drop'. Die neuen Klamotten und Accessoires präsentiert sie beim abendlichen Schaulauf im Theater. Am nächsten Tag beginnt sie, die wieder fabrikneu gebügelten Sachen zurückzubringen, tauscht Jeans gegen Cordhose, Turnschuhe gegen Stöckelschuhe, Gürtel gegen Taschen. Weigert sich ein Verkäufer, sucht sie eine andere Filiale auf. Doch meist werden die Teile ausgewechselt oder das Geld erstattet. Kurzum: Das Mädchen erkennt Grauzonen innerhalb eines funktionierenden Gefüges, das sie für ihre Interessen gnadenlos ausnutzt. Jeden Abend ein neues Partyoutfit ohne sich prekär verausgaben zu müssen - wie ein Bogenschütze trifft sie für ihre eigenen Interessen mitten ins Schwarze! [...] Auf der Bühne funktioniert Sebastian M. Schulz inzwischen als nützliches Mitglied des Bündnisses. Er beschäftigt sich mit dem System, indem er es beschäftigt. Ihn interessieren die Grenzen der Funktionstüchtigkeit einer stabilen Ordnung, deren Basis Vertrauen ist, also Geldinstituten. Durch Bareinzahlungen, Überweisungen, Abhebungen und Transfers verschiedener Konten bei anderen Banken, die allesamt ihm gehören, konterkariert er ihren Sinn. [...] Die Betrachtungen beim kurzweiligen Abend sind gelungen. Antworten muss jeder selber finden.
NRZ, 22. Mai 2004
Anfang Mai. Herr von Borries betritt sein Schlafzimmer. Er stellt zwei Wecker um eine Stunde vor. Nacheinander verrückt er die Zeiger seiner Armbanduhr, der Küchenuhr, der Uhr im Wohnzimmer. Frau von Borries bemerkt nichts. Nach einem Spaziergang setzen sie sich, lesen. Als die Ziffernblätter elf Uhr anzeigen, gehen sie - wie immer- ins Bett. Frau von Borries schläft sofort ein. Ihr Mann hört sie atmen. Die Uhren ticken. Eine eigentlich nicht existierende Stunde lang. Dann schläft auch er ein. [...] ‚Alibis’ sind Titel und Thema einer neuen Arbeit von Hofmann und Lindholm. [...] Vieles hätte Herr von Borries in dieser irreal gewordenen Stunde zwischen 23 und 23 Uhr tun können. Stehlen, morden, betrügen. Seine Frau hätte seine Anwesenheit im ehelichen Bett bezeugt. Er aber lässt die Zeit verstreichen. Ein Krimi ohne Mord, ein Täter ohne Verbrechen. Schon im letzten Jahr produzierte das FFT eine Arbeit von Hofmann und Lindholm. [...] Noch exakter, noch entschlossener sind Hofmann und Lindholm diesmal ihren Fragen nachgegangen. Noch genauer, noch abgründiger ist der entstandene Text. Bodo von Borries, Maike Hesse, Stefan Lobner und Holger Storcks beschaffen sich Alibis, Zeugen, neue Identitäten. Schritt für Schritt werden sie sich selbst fremd. Von Zeit zu Zeit entstehen poetische Momente der inneren Grenzüberschreitung, in ihrer Geschäftigkeit erlangen sie plötzlich eine ergreifende Verlorenheit, verlieren sich in einer stillen Trostlosigkeit. Solch ein Text kann vielleicht nur auf diese Weise entstehen. Mit fast wissenschaftlicher Genauig- und Unnachgiebigkeit und gleichzeitiger privater Verletzlichkeit.
Rheinische Post, 22. Mai 2004
Auch wenn das schöne Schlussbild den Gedanken geradezu hervorrief: die vorangegangene Theaterstunde war kein existentialistisches Schattenspiel, ebenso wenig ein illustriertes Höhlengleichnis. Es war vielmehr ein kurzweiliger Existenz-Behauptungs-Kurs für jedermann. Ziel des Kurses war ein Diplom für alle, die sich von keiner Alibi-Frage in Bedrängnis bringen lassen wollen. Wo waren Sie gestern um halb zwölf? Wer kann das bezeugen? In einem raffinierten Stufenplan rücken vier Menschen ihre Tagesläufe aus der Anonymität ans Licht, machen Trivialität zum Erlebnis, inszenieren und verfälschen ihre Wirklichkeit. Ein junger Mann nutzt die Abwesenheit seiner Eltern, um deren Wohnung in einem Inserat zur Vermietung freizugeben. Besichtigungstermin am Freitagabend. Für denselben Abend bittet er bei seinen Nachbarn um Verständnis, falls es bei seiner großen Party zu Lärmbelästigungen käme. Er kauft Berge von Finger-Food und Instanz-Geschirr, lässt das Ganze überall in der Wohnung ziemlich benutzt aussehen und macht sich aus dem Staub. Alles klar? Wie sollten die Nachbarn später nicht das ständige Getrampel im Treppenhaus bestätigen oder die Putzfrau nicht ihren enorme Mehrarbeit? Ein anderer Mann konditioniert, ja ‚pawlowisiert’ seine Mitbewohnerin, indem er mit einem genau abgestimmten Verstellen aller verfügbaren Uhren deren Zeitgefühl in einen neuen Takt bringt. ‚Alibis’ ist als Koproduktion des Düsseldorfer FFT mit dem Zürcher Theaterhaus Gessnerallee bereits das zweite Schauspiel einer neuen Art von Theater, das seine kulturwissenschaftlichen oder biografischen Erkenntnisse in eine unterhaltsame Form gießt. Laiendarsteller legen Fährten in eigener Sache. Fügte man noch eine Prise Untat hinzu, könnte ‚Alibis’ ein perfektes Lehrstück für die Kriminal-Ermittlung werden. Reizvoll ist jedenfalls die Vorstellung, dass Hannah Hofmann und Sven Lindholm uns bald mit der ultimativ als Realität behaupteten Fiktion unterhalten werden. Wir sind durch ‚Troja’ vorbereitet: wie viele Schiffe der griechischen Flotte wurden dort nicht mit der PC-Maus zusammengeklickt?
Westdeutsche Zeitung, 22. Mai 2004
Wie die Dinge wirklich werden.’ Dieses Zitat umreißt deutlich ein Thema des Stückes ‚Alibis’. Das Künstlerduo Hannah Hofmann und Sven Lindholm zeigt, wie vier Menschen ihr Leben manipulieren. [...] Anfangs werden Diskotheken-Einlasstempel noch öffentlich zur Schau getragen, als Beweis, dass es nichts zu verbergen gibt. [...] Später werden Urlaubsreisen vorgetäuscht. Tatsächlich bleibt eine Frau daheim, wäscht sich mit Kanisterwasser, damit kein Kranrauschen gehört wird. Sie vermeidet Gänge, die sie an Fenstern vorbeiführen würden und kehrt später für jeden sichtbar aus dem nie angetreten Urlaub heim.[...] Zum Schluss bauen die Schauspieler ihre Bühne ab, vernichten Indizien, Notizen, Pläne, Beweise, geben sich neue, mit den alten Indizien deckende Identitäten, verharren dann als Scherenschnitte im Dunkeln, und der Zuschauer weiß nicht mehr, mit wem er es zu tun hatte, die vergangenen 90 Minuten. Es waren Bodo von Borries, Maike Hesse, Stefan Lobner und Holger Storcks. [...] Was Hofmann und Lindholm ostentativ nicht bestätigen wollen: ‚Alibis’ ist angelehnt an die soziologische Systemkritik, die bekanntlich definiert, dass ein System nicht durch Personen, sondern durch Handlung aufrechterhalten wird. Es geht darum, wie Handlungen Menschen bestimmen, Lügen zu Wirklichkeit werden. Und es geht auch darum, weshalb US-Propagandashows vor der UN-Vollversammlung funktionieren können. Alle weiteren sich aufdrängenden Bilder beweisen: ‚Alibis’ ist ein grandioses Stück.
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