© Hannah Hofmann
Geschichte des Publikums © Hannah Hofmann
© Hannah Hofmann

Geschichte des Publikums

Intervention / Inszenierung

Voyeure sind heimliche Komplizen und Trittbrettfahrer in Geschichten, die nur selten die ihren sind. In 'Geschichte des Publikums' kommen die diskreten Aneignungsstrategien einer aktiven Zuschauerschaft zur Sprache. Das Stück handelt von mutwilligen Zaungästen, von originären Kopisten, von Entdeckern und Mitwissern öffentlicher Geheimnisse und solchen, die ihre Handlungsspielräume aus den Aktivitäten der anderen schöpfen. Reale Personen vollziehen reale Handlungen in einer realen Welt. Roland Görschen präpariert. Marcus Zilz übt sich in vorauseilendem Gehorsam. Uta Wallstab setzt um. David Prosenc zieht sich zurück – ins öffentliche Leben. Mit einer Gruppe von Beobachtern und Zeitzeugen bezieht das Regieteam Stellung im toten Winkel, um Öffentlichkeit zu privatisieren und die jeweils eigenen Anteile an Waren, Gütern, Dienstleistungen, Meinungen, Situationen, Ereignissen und Geschichte(n) einzufordern.

Audio-Trailer

Mit: Roland Görschen, David Prosenc, Uta Wallstab und Marcus Zilz
Konzept, Text, Regie, Raum:
Hannah Hofmann, Sven Lindholm
Assistenz: Eva Böhmer

'Geschichte des Publikums' ist eine Koproduktion von Hofmann&Lindholm mit dem FFT (Düsseldorf) und dem HAU (Berlin). Gefördert durch die Kunststiftung NRW, das Kulturamt der Stadt Düsseldorf und den Fonds Darstellende Künste e.V.

2008 entstand - ebenfalls unter der Regie von Hofmann&Lindholm - eine Hörfassung, die von Deutschlandradio Kultur urgesendet und anschließend sowohl vom Bayrischen Rundfunk als auch vom Westdeutschen Rundfunk übernommen wurde.

Termine
23. – 27. September 2007
HAU (Berlin)
8. Juni 2006 – 9. Juni 2007
Uraufführung

FFT (Düsseldorf)
Rezensionen
Schauspielen heute, Jens Roselt / Christel Weiler (Hg.), transkript Theater, 2011
Was tue ich hier eigentlich?
So erzählen die Beteiligten von 'Geschichte des Publikums', wie sie sich des öffentlichen Raums ihrer Heimatstadt durch "diskrete Strategien der Privatisierung" bemächtigen. Sie montieren Verkehrsschilder ab und ersetzen sie durch handgefertigte Kopien. Sie mähen eigenhändig städtische Grünflächen. Eine Komplizin tauscht die Bepflanzung einer Verkehrsberuhigungsinsel aus, ersetzt die vorhandenen Blumen durch dieselben, neu gekauften: "Ich habe mich in meiner Heimatstadt eines Terrains von rund sieben Quadratmetern bemächtigt. Meine Privatsphäre wächst sich aus." Thematisiert wird auf diese Weise das Verhältnis von Privatem und Öffentlichkeit, von Einzelnem und Gesellschaft. Die Strategien der Privatisierung sind dabei so diskret in ihrem Spiel mit exakten, aber eigenhändig gefertigten Kopien, dass sie kaum bemerkt werden können, und so auch die Frage nach dem Verhältnis von Original und Kopie, von Realität und Repräsentation stellen.
Miriam Dreysse
Deutschlandfunk, 3. August 2007
Kutur heute
Wie eine Musealisierung des privaten Augenblicks wirkt es, wenn die Darsteller aus Hofmann & Lindholms ‚Geschichte des Publikums’ detailgetreu ihre Schreibtische auf der Bühne so aufbauen, als hätten sie kurz die Arbeit am Projekt verlassen. Sie dokumentieren, ohne dass man den Wahrheitsgehalt wirklich nachprüfen könnte, wie sie Öffentliches nachgeahmt und dann das Private in die Öffentlichkeit eingebracht haben: Sie leihen ein Buch aus der Bibliothek, kaufen zusätzlich ein anderes Exemplar und geben ein inklusive Geruch nachgeahmtes Buch wieder ab, sie tauschen die Blumen eines öffentlichen Beetes gegen Selbstgekaufte aus oder den Kunstdruck im Arbeitsamt gegen den gleichen privaten, mit dem persönliche Erinnerungen zusammenhängen. Die Darsteller sind authentisch und wurden gecastet. Ihre Lebensgeschichte bringen sie aber nicht in dem Maße wie beispielsweise bei Rimini Protokoll auf die Bühne. Es sind ‚Komplizen’, wie Sven Lindholm sie nennt, die den Ansatz des Duos Hofmann & Lindholm verwirklichen helfen, ‚Gebrauchsanweisungen zum Einschreiten im Alltag ans Publikum weiterzugeben’. Das Private ins Öffentliche einzuschmuggeln bezieht sich nicht nur auf Materielles, sondern auch auf Dienstleistungen: Man führt Kundenberatung im Supermarkt durch oder zeigt ‚vorauseilenden Gehorsam’ und mäht öffentliche Grünflächen. Die Akteure berichten einem Publikum, wie sie sich im Kleinen und heimlich die Öffentlichkeit wieder aneignen. Und sie ‚spielen Publikum’ nach Partitur, und zwar auf der Bühne; ein ‚Publikum’ als solches entdeckt das Handeln neu - kein Mitmachtheater, sondern ein Spielen mit Erwartungshaltungen - intelligent poetisch, nicht agitatorisch. Man hat einen irrsinnigen Spaß daran, die Ebenen aufeinander zu beziehen. Und geht noch eine Weile mit anderem Blick durch die Straßen.
Rheinische Post, 30. September 2006
Mit ihrer neuen Produktion verfolgen Hofmann & Lindholm keineswegs terroristische Absichten, vielleicht nicht einmal theatralische.
NRZ, 29. September 2006
Neben Roland Görschen strömen David Prosenc, Uta Wallstab und Marcus Zilz in die Stadt. Sie ersetzen Arbeitsvorgänge, Pflanzen, Bilder. Sie privatisieren den öffentlichen Raum – zum Schluss auch das Theater. [...] Kopie, Nachahmung, Duplikat sind Gegenstände einer neuen Produktion des Künstlerduos Hofmann&Lindholm. Kein Theaterabend in herkömmlichen Sinn erwartet den Zuschauer, eher ein auf unterhaltsame Weise mit ironischen, musikalischen und filmischen Elementen gespickter Bericht eines wissenschaftlichen Projektes.
Westdeutsche Zeitung, 29. September 2006
Drei Männer und eine Frau erzählen vom 1784 erfolgten Nachweis des Mesmerismus, der vor allem zeigte, wie sehr die Erwartungshaltung des Publikums Forschungsergebnisse beeinflussen kann. Damit ist der Rahmen für Uta Wallstabs Bericht von ihrer Expedition in den Stadtraum gesetzt, bei der sie an einer Verkehrsinsel die Bepflanzung komplett ersetzt hat. [...] Roland Görschen hat sich ein Buch in der Unibibliothek ausgeliehen, alle Gebrauchsspuren bis zum Barcode in sein privates Exemplar kopiert und dieses nun als vermeintliches Original in den Leihverkehr eingespeist. [...] Die entscheidende Erkenntnis: dass Öffentlichkeit und ihre Ordnung von ihrer Ungenauigkeit, vom Zufall und ihrer Übertretung lebt.
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