Laudatio zum Tabori Preis 2023 an Hofmann&Lindholm
von Kathrin Tiedemann
(Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin FFT Düsseldorf)
Liebe Hannah, lieber Sven,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude und Ehre zur Verleihung des Tabori Preises 2023 an Hofmann & Lindholm die Laudatio zu halten.
Beginnen möchte ich mit einem Datum: 8. November 2016.
An diesem Tag jährte sich der Geburtstag von Peter Weiss zum 100sten Mal – und an diesem Tag fanden in den USA Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Donald Trump als Wahlsieger hervorging. Dieses Datum ist mir aufgrund dieser merkwürdigen Koinzidenz im Gedächtnis geblieben und weil sich rückblickend an ihm die Frage nach den Handlungsspielräumen für eine zeitgenössische, politische und künstlerische Praxis besonders gut festmachen lässt. – Es führt damit unmittelbar zum Werk von Hofmann&Lindholm, das für eine heutige „Ästhetik des Widerstands“ steht, die in Zeiten, in denen demokratische Gesellschaften immer häufiger eine Tendenz zum Populismus und zu autoritären Machtverhältnissen entwickeln, eine besondere Beachtung verdient.
Das Beeindruckende an den Arbeiten von Hofmann&Lindholm ist ja gerade, dass sie mit Kunst und Aktivismus im üblichen Sinne nicht viel „am Hut“ haben. Sie bewegen sich vielmehr strikt innerhalb der Grenzen der symbolischen Ordnung und untersuchen, wenn man so will, das Regime der Regeln, mit denen Systeme „alles“ am Laufen halten und uns als gesellschaftliche Akteur*innen permanent zu Mittäter*innen machen. Gleichzeitig eröffnen ihre Arbeiten Spielräume für abweichendes Verhalten, für Zweckentfremdungen und widerständiges, subversives Denken und Handeln.
Das Theater wird, wenn man sich wie Hofmann&Lindholm seinen Regeln nicht unterwirft,
zu einem wunderbaren Forschungsfeld: als Institution, als Architektur, als Illusions-Apparat, als soziale Konvention, da es auf vielen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen und Verabredungen beruht.
In dieses Regelwerk intervenieren Hofmann&Lindholm zum Beispiel mit ihrer Arbeit „In Pieces“ am Schauspiel Stuttgart, wo sie einzelne Zuschauer*innen im Bühnenbild einer Inszenierung aus dem Repertoire verstecken „oder anderweitig tarnen“. Ein für Hofmann& Lindholm typischer, kleiner, subtiler, ja unsichtbarer Eingriff, der aber alle Möglichkeiten eröffnet, die Realität eines Theaterabends gänzlich anders zu erleben und Wahrnehmung politisch zu machen.
Über die Mitwirkenden bei Eurem Hörstück „Die 13. Fee. Oder: Was Mon Chéri meiner Mutter wirklich bedeutet“ heißt es: „Menschen, denen Anonymität zugesichert wird,“ als ginge es um eine Art Zeugenschutzprogramm – das Hörstück verhandelt Rachephantasien in Bezug auf die eigenen Eltern, es geht um sogenannte „Nestbeschmutzer“, die sich trauen, das Familienidyll zu stören oder zu zerstören. Und man ahnt, welche besondere Kunst ihr entwickelt habt, Euch mit Menschen derart zu verbünden, dass sie bereit sind, sich vertrauensvoll zu öffnen – nur so lässt sich regelwidriges Gedankengut zutage befördern, werden Regelverstöße vorstellbar.
Kann Theater, kann Kunst „heute“ politisch wirksam sein? Bzw. wie könnten sie es? Hofmann&Lindholm haben diesbezüglich über viele Jahre einen reichen Schatz an komplexen Strategien und Methoden entwickelt, indem sie sich immer wieder in die Abgründe begeben, die sich unter der Oberfläche einer schönen heilen Welt auftun. Und den Blick auf die Verfasstheit sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Institutionen richten.
Liebe Hannah, lieber Sven, vielen Dank, dass Ihr zusammen mit Euren zahlreichen Komplizinnen und Komplizen so konsequent Euren Weg einer widerständigen Ästhetik geht und uns immer wieder einladet, unbequeme Mittäterschaften anzuerkennen, uns die eigenen Verstrickungen einzugestehen und dennoch die Suche nach Möglichkeitsräumen nicht aufzugeben. Herzlichen Glückwunsch zum George-Tabori-Preis!