faites vos jeux!
Planspiel / Revoltainment / InszenierungDer Kunde ist tot. Es lebe der Kunde!
Dienstantritt der Selbstversorger, Tag X. Die Mitarbeiter diverser Unternehmen in Deutschland erklären ihre Unabhängigkeit. Sie verschanzen sich in Geschäftsräumen und Filialen, besetzen ihre eigenen Arbeitsplätze und widmen sich uneingeschränkt dem Ziel, betriebsinterne Ressourcen nachhaltig zu erschöpfen.
Hofmann&Lindholm proben den Aufstand. Mit Hilfe fachkundiger Kompliz_innen drehen sie das Rad im Getriebe gegen den Uhrzeigersinn und konstruieren in einem surreal anmutenden Planspiel Robinsonaden des Marktes. Sie entwickeln Bilder konkreter Utopien, in denen Menschen gegen Waren antreten, in deren Dienst sie stehen. Nach dem Motto 'surviving the supermarket!' wird aus dem Vollen geschöpft, bis sich Tausch- und Gebrauchswerte aufzulösen scheinen und Kaufkraft an Bedeutung verliert. Aus Arbeitsplätzen werden Biosphären.
Mit: Robert Christott, Roland Görschen, Thorsten Hemme, Jan Mallmann-Kallenberg, Lara Pietjou, Peter Pietz und Skadi Seeger
Konzept, Text, Regie, Raum, Video, Ton: Hannah Hofmann, Sven Lindholm
Assistenz: Eva Böhmer
Mitarbeit: Fabian Offert
'faites vos jeux! Revoltainment' ist eine Koproduktion von Hofmann&Lindholm mit dem FFT (Düsseldorf), dem HAU (Berlin) und PACT Zollverein (Essen). Gefördert durch die Kunststiftung NRW, das Kulturamt der Landeshauptstadt Düsseldorf und den Fonds Darstellende Künste e.V..
2009 entstand - ebenfalls unter der Regie von Hofmann&Lindholm - eine Hörfassung, die von Deutschlandradio Kultur urgesendet und anschließend vom Westdeutschen Rundfunk übernommen wurde.
FFT (Düsseldorf)
PACT Zollverein (Essen)
HAU 3 (Berlin)
Die Kräfte der Revolution für den Rausch gewinnen
Wie dieser Titel bereits verrät, verbindet die Performance die Reflektion über die Revolte und Revolution mit der über den Spielcharakter dieser Reflektion. Sie stellt, wie das Duo es selbst beschreibt, "szenische Gebrauchsanweisungen für zeitgenössische Formen des Widerstands" vor und kann dabei auch als distanzierte Auseinandersetzung mit dem 40 Jahre zurückliegenden Jahr 1968 begriffen werden. Sieben "Komplizen", sich selbst auf der Bühne vertretenden Akteure mit unterschiedlichem beruflichen Hintergrund (vom Banker über die Lebensmittelverkäuferin, den Feuerwehrmann und den Busfahrer bis zur Krankenschwester und sogar zum Schauspieler) imaginieren eine Revolte, die in nichts als dem möglichst vollständigen Verbrauch der Ressourcen besteht, mit denen zu handeln sie sonst gezwungen sind. (...) Der Austand derer, die den Warenfluss von den Produzenten zu den Konsumenten in Gang zu halten haben, breitet sich aus. Erschien die Revolution bei White Horse als vergangenheit, die nur noch mit größtem Aufwand und niemals restlos zu vergegenwärtigen ist, so erscheint die Revolte in dieser Performance als ganz alltägliches, jedoch im Alltag normaler Weise nicht entfesseltes Potetial des Rausches. (...) Wenn der erste ebenso komische wie skurrile Einfall verbraucht ist, die Revolte, die in der Erklärung der jeweiligen Autonomie besteht, ihren Gipfelpunkt überschritten hat, folgt, wie die Performace vorführt ein Alltag, der alles andere als spektakulär ist. Es ist, als wollte uns diese Performance auch mit Blick auf das Danach der Revolte eine Kinderfrage stellen: Und wenn die Verhältnisse sich überholt haben, die Revolution gekommen und alles anders geworden ist, was dann? Die Antwort scheint zu lauten: Dann setzt der Alltag wieder ein und setzt sich schleppend fort. Worauf White Horse und Hofmann&Lindholm hindeuten ist, das sich die vergangenen Revolutionen im Moment ihres revolutionären Enthusiasmus durch die Herstellung eines allumfassenden Weltbildes das Bild der Zukunft, und häufig für immer, verbauten. Was sie in einer Tradition, die von Kant über Marx und Benjamin in die Gegenwart reicht, in Gestalt ihrer Arbeiten dagegen setzen, ist weder die wohlfeile Denunziation vergangener Revolutionen noch deren nostalgische Glorifizierung, sondern vielmehr der Verweis auf die Leere, die im heutigen Denken nach dem Ende der großen Erzählungen an ihre Stelle getreten ist, und zugleich auf ihr unausschöpfbares, über jedes Scheitern und jede Vergangenheit hinausweisendes Potential.
Prof. Dr. Nikolaus Müller-Schöll
Ein Supermarkt, eine Bank, ein städtisches Busunternehmen proben die Rebellion. Fünf Tage lang reißen die Mitarbeiter eine Lücke ins System. Die Busfahrer fahren ihre Routen ab, leeren die Tanks ihrer Wagen, ohne einen einzigen Fahrgast zu befördern, Bank- und Super Supermarktangestellte verbarrikadieren sich an ihren Arbeitsplätzen. Im Supermarkt werden die Regale leerkonsumiert, die Bank gibt per Scheck die Guthaben ihrer Kunden zurück und schreibt: ‚Wir möchten Sie bitten, von weiteren Geschäften mit unserem Haus abzusehen.’ Fünf Tage Autonomie, der ‚Dienst am Kunden wird mittelfristig quittiert’. Dann trennen sich die Revolutionäre. Kein Umsturz hat stattgefunden. Aber eine Störung. So auch das Kunstprinzip von dem sich als ‚Interventionalisten’ bezeichnenden Künstlerpaar Hannah Hofmann und Sven Lindholm, die für ihr Dokutheater immer wieder ‚Komplizen’ rekrutieren, um mit ihnen die Wirklichkeit zu theatralisieren. Mit wunderbarer Präzision schnurrt in ihrer 2008 entstandenen Produktion ‚Faites vos jeux’ der Theater-Mechanismus. Exakt getaktet sind die Texte der sechs Performer. Eine Sprech-Choreografie, bei der nur ganz selten mal ein Satz darstellerisch illustriert wird. Statt nachzuspielen, rekonstruieren die Performer den Ablauf ihrer Rebellion verbal mit der Sachlichkeit von Polizeiprotokollen - aber mit dem Lächeln des Triumphs. Auf der Bühne gibt es nur ein paar Schaukästen, in denen die Revolutionäre ihre ‚Tat’-Objekte wie Indizien postieren: Handys, Stadtpläne und einmal als besonderen Gag Tomaten in jeglicher Konsistenz. Widerstand ist zwecklos, aber heiter. So befreit sich auch die Bühne von jedem Erwartungsdruck und behauptet mit charmantem ‚Revoltainment’ ihre Souveränität.
Hofmann&Lindholm sind ein Künstlerpaar, das sich nicht so ohne weiteres einordnen lässt. Sie sind Konzeptualisten, die sich von bildender Kunst befruchten lassen, Theatermacher, die die Bedingungen von Theater hinterfragen, aber auch Hörspielautoren und Filmemacher. Sie selbst nennen sich gerne „Interventionalisten”. Denn eins ihrer Grundthemen ist der diskrete Eingriff ins alltägliche Bewusstsein. (...) Das „Theater“ von Hofmann&Lindholm begreift sich als politisch, aber ohne aufklärerischen Impuls. Dem Zuschauer wird nicht vorgeschrieben, was er zu denken hat, sondern er wird in eigene Gedanken gestürzt. (...) Ihr neuestes Projekt basiert nun zur Abwechslung einmal nicht auf realen, sondern auf fiktiven Eingriffen in die Welt. Es ist ein Stück über Globalisierung und Revolte – aber im umgekehrten Sinne. „Unser Stil ist ja eher, nicht den Twintower, sondern den Schrebergarten in den Fokus zu nehmen. Was passiert, wenn sich Märkte nicht ausweiten, sondern abschließen? Wir spielen durch, dass man sich in die Filialen des Alltags, Banken, Ämter, Theater, Supermärkte zurückzieht, die Schotten dichtmacht und die Ressourcen erschöpft. Hausbesetzung auf etwas andere Weise”, sagt Sven Lindholm. „faites vos jeux” handelt von acht Orten, in die Menschen eingeschlossen sind. Je ein Vertreter seiner Berufsgruppe – Bankangestellter, Verkäufer oder Postmitarbeiter – steht auf der Bühne und erzählt, was passiert. Wie die betriebseigenen Ressourcen verbraucht werden, was zwischen den Menschen abläuft, sich Hierarchien bilden. Es ist eine wieder einmal hochgelobte, melancholische und auch sozialromantische Arbeit über Stillstand im Angesicht von potentiellen Katastrophen geworden.
Am Anfang im Raum verteilt: einige Vitrinen, beleuchtet und noch leer. Im Laufe des Abends werden sie sich mit ständig wechselnden Gegenständen aus der Berufswelt füllen und somit der Zukunftsprojektion etwas Museales verleihen. Dann beginnt fast heiter der erste Tag der Revolte, Tag X. Alle sehen immer wieder auf die Uhr, die Spannung wächst, man zählt den Start an, der auch nicht ganz unaggressiv vor sich geht: Eine Milchflasche, ein Schlips und ein Gürtel wirken wie Waffen in den Händen der vorher gecasteten Informanten, einen für jeden Arbeitsplatz. Die Bank ist dicht. Der Supermarkt auch. Peter Pietz fährt die Linie 785 nur noch für die Belegschaft durch die Stadt. Außer ihm, dem Bankangestellten Thorsten Hemme und Skadi Seeger aus dem Supermarkt sind auf der Bühne eine Krankenschwester, ein Feuerwehrmann, ein Sprecher und ein Schauspieler. Peter Pietz fährt am Arbeitsamt vorbei: Dort ist alles verlassen, die Mitarbeiter haben sich in neue Jobs vermittelt. In der Post werden fleißig Briefe geschrieben, an die anderen Filialen: Zum Ziel haben sich alle gesetzt, die betriebseigenen Ressourcen zu verbrauchen – in der Post also Briefmarken und Briefbögen. In der Bank wird der Strom abgestellt, dennoch sorgfältig darauf geachtet, dass die Alarmanlage mit dem Notstromaggregat funktioniert. Wir erfahren, wie sehr Arbeitsplätze mit Persönlichkeiten von Angestellten verwachsen sein können. Selbst beim Verbrauchen ihrer Ressourcen – sehr witzig und selbstironisch – sind die Banker diszipliniert und höflich. Suppe und Tee ziehen sie sich am Automaten. Im Supermarkt sind die Angestellten besser versorgt. Hier kommt regelrechte Zeltlagerstimmung auf: Man macht ein Lagerfeuer und versinkt daraufhin fast im Regen der Sprinkleranlage. Anschließend werden die Putzmittel aufgebraucht, inzwischen ist das durchaus sinnvoll. Peter Pietz, der Busfahrer, drückt dem Abend die persönlichste Note auf mit seiner beschaulichen Gemütlichkeit, mit der sich viel Friedvolles auf die Bühne herabsenkt. Diese Darsteller mag man, und zwar alle. Der protokollarische Stil der fiktiven Erzählung schafft Abstand, die Blickführung in diesem gewitzten Text aber große Nähe zum Detail. Diese Details betreffen Abläufe, aber auch die Belegschaften – Persönlichkeiten, die nicht auf der Bühne sind, die aber im Supermarkt handliche Frikadellen für die anderen formen oder erschöpft über dem Kontoauszugsdrucker einschlafen. Das ist vor allem: liebevoll. Damit wirken Idee und Ausführung des Konzepts völlig unterschiedlich: Hört man die Idee, bezieht man sie auf den eigenen Job. Und denkt weiter: Was wäre zum Beispiel, wenn auch die Bestattungsunternehmer... Kommt man aber aus der Inszenierung, geht man zunächst einmal mit einem geschärften Blick für die anderen durch die Welt. Der Impuls, den man spürt, ist überraschenderweise vor allem: Dankbarkeit. Ja, wir wollen uns weiterhin mit diesen Menschen austauschen und an den Kreisläufen, die sie verwalten, teilhaben. Schließlich endet die Revolte so friedlich, wie sie im Prinzip auch begonnen hat. Man kann überrascht sein über das zutiefst Menschliche, aber schon das Konzept bedeutet keinen Ausbruch und lässt die Subjekt-Objekt-Beziehungen flirren. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl mit den Revoltierenden. Nein: Hofmann & Lindholm sagen nicht, wie die Welt aussieht, oder verraten eine Patentlösung. 'faites vos jeux!' ist ein Spiel mit Möglichkeiten, mit viel Raum für den Zuschauer, selbst festzustellen, wo utopisches Potential liegen kann.
Sechs Blicke braucht Peter Pietz, bevor er losfährt. Der Busfahrer sitzt am Bühnenrand im Juta und demonstriert die Strategien seiner (Verkehrs-) Versicherung, bevor er zum großen Abenteuer der Verschwendung aufbricht. Zusammen mit Kollegen will er durch permanente Leerfahrten das Benzin der Busflotte auf Null bringen: Der Weg ist das Ziel. Was das Regieduo Hofmann & Lindholm sich für ihren neuen Abend „Faites vos jeux!“ im FFT ausgedacht hat, ist ein utopisches Spiel, das kapitalistische Grundbegriffe wie Warenproduktion, Erwerbslogik und Gebrauchswert in Frage stellen soll. Sieben Laiendarsteller stehen auf der Bühne des Juta, vom Busfahrer über Angestellte aus Supermarkt und Bank bis zur Krankenschwester. Wie in einer filmischen Parallelmontage werden zunächst Tagesabläufe geschildert, die alle auf High Noon am Tag X, dem Tag der Verschwendung zulaufen. Pünktlich um 12 Uhr schließen nämlich die unentbehrlichen Einrichtungen unseres Wirtschaftskreislaufs und beginnen mit der Ressourcenverschwendung. Da verbarrikadiert sich Skadi Seeger mit ihren Kollegen im Supermarkt („Die Besatzung hat begonnen“), baut Zelte auf, richtet eine Kochstelle und einen Müllplatz ein. Während die Darsteller die Vorgänge mit dokumentarisch exaktem Ton schildern, eilen sie zwischen elf Vitrinen hin und her und bestücken sie mit Weckern, Krawatten, Fotos oder Handys: die Werkzeuge ihres Arbeitslebens wandern ins Museum. Im Wechsel werden nun die Vorgänge in der Bank, die die Guthaben an die Besitzer rücküberweist, oder dem Krankenhaus, wo die Angestellten sich selbst pflegen, beschrieben. (...) Der Theoretiker Georges Bataille stellte 1967 fest, dass viele menschliche Tätigkeiten wie Trauer, Sex, Krieg, Kunst oder Spiele nach dem Prinzip der rauschhaften Verschwendung funktionieren. Bei Hofmann & Lindholm nimmt dieser Rausch die fürchterliche Komik eines sehr deutschen Protestes an (...).
Innenansichten aus einer verkehrten Welt
Bei "Faites vos Jeux!" ist dieser Ansatz mit einem Hauch Widerstandsgeist gepaart - "Revoltainment" eben, so der Untertitel des Stückes. Auf der Bühne wird aus der Perspektive von sieben Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen ein fiktiver "Tag X" erzählt, ab dem die Menschen sich plötzlich in ihren Supermärkten, Banken, Feuerwehrstationen oder Krankenhäusern einschließen, um fortan nur noch alle betriebsinternen Ressourcen zu verbrauchen. Konsum statt Produktion also, ein Umbruch etablierter Arbeitsbeziehungen in einem Kapitalismus paradox.
Das Stueck
"Faites vos jeux!" von Hofmann & Lindholm hat morgen, 20Uhr, im FFT Juta an der Kasernenstraße 6 Premiere. Weitere Termine: 29., 30. und 31. Mai, zirka 100 Minuten ohne Pause. Karten: Tel. 0211/876787-18
Besonders dabei: Die Darsteller in "Faites vos Jeux!" sind echte Verkäufer, Bankangestellte oder Busfahrer, die sich selbst spielen. Durch diese für Hofmann & Lindholm typische Einbeziehung von "Alltagsexperten" bekommen die Innenansichten einer verkehrten Welt eine besondere Authentizität - bis es am Ende heißt: "Nichts geht mehr!"
Florian Launus