© JU / Schauspiel Stuttgart
Uraufführung © JU / Schauspiel Stuttgart
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© Daniel Keller
Uraufführung© JU / Schauspiel Stuttgart
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© JU / Schauspiel Stuttgart
Uraufführung© JU / Schauspiel Stuttgart
Uraufführung© Daniel Keller
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© Daniel Keller
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© Daniel Keller
Uraufführung© JU / Schauspiel Stuttgart
Uraufführung© Sven Lindholm
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© Hannah Hofmann
Uraufführung© JU / Schauspiel Stuttgart
Roland Ei 3 © Daniel Keller

Uraufführung

Ein Abend für die Außenwirkung / Inszenierung

Eine Vorstellung in doppeltem Wortsinn.

Hofmann&Lindholm verfolgen in ihren Arbeiten häufig eine Strategie des Weglassens, die sich wie ein roter Faden durch ihre verschiedenen Projekte zieht: Die dramaturgische Lücke, die sie dadurch klaffen lassen, verweist stets auf das Abwesende und rückt es somit ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Im Rahmen von Doppelpass am Schauspiel Stuttgart wurde diese Methode nun auf eine Aufführung angewandt und die Vorspiegelung falscher Tatsachen als gemeinschaftlicher Akt inszeniert. Dabei fiel der Kern der Inszenierung, nämlich die Aufführung, aus: Vielmehr verständigten sich Hofmann&Lindholm mit den Anwesenden über die Inszenierung einer Lüge und konstruierten gemeinsam mit dem Publikum ihre Realität. Die Realität einer Aufführung, die regulär angekündigt, kritisiert, bejubelt und besprochen wurde, obwohl sie niemals so stattgefunden hat, wie Behauptungen darüber nahelegen.

Inszeniert wurde ein Theaterabend, der sich völlig anders verwirklichte, als seine Bewerbung und sämtliche Ankündigungen vermuten ließen. Oder anders gesagt: Der öffentlich zur Diskussion gestellte Inhalt der Inszenierung war nicht ihr Thema. Vielmehr haben Hofmann&Lindholm gemeinsame Sache mit dem – teils einbestellten – Publikum gemacht und auf der Bühne des Schauspiel Stuttgart einen „Abend für die Außenwirkung“ präsentiert, mit dem erklärten Ziel die konstruierte Realität eines vermeintlich gelungenen Theaterabends durch taktische Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung wahr werden zu lassen. Die Aufführung wurde im üblichen Rahmen, jedoch unter falschen Vorzeichen beworben und angekündigt. Um sie zu erleben, fanden sich sowohl eingeweihte als auch nichteingeweihte Besucher*innen als Publikum ein. Sie wurden ausführlich instruiert, um anschließend von dem vermeintlichen Inhalt des Stücks berichten zu können und umsichtig angeleitet, um Erfahrungen zu sammeln, die sie – jedenfalls während dieser Inszenierung - nicht machen konnten. Hofmann&Lindholm haben mit URAUFFÜHRUNG die Konstruktion von Wirklichkeit erprobt, indem sie sie schlicht zur Aufführung brachten.

Der Abend wurde wie folgt beworben und besprochen:

Abstieg zu den Müttern.
Wilde Ödnis, unbegriffen.


Das Regiekollektiv Hofmann&Lindholm befasst sich erstmals mit einem klassischen Bühnenstoff. In URAUFFÜHRUNG setzt es sich mit einer der geheimnisvollsten Szenen aus Goethes dramatischem Oeuvre auseinander - dem so genannten Abstieg zu den Müttern. Faust macht sich darin auf den Weg zur Quelle aller Bilder, zum Ursprung des Sichtbaren. Geheimnisvoll ist die Szene, da sie nur aus einer vielsagenden Auslassung besteht, die sich zwischen der Vorbereitung des Abstiegs und dem Wiederauftauchen des Titelhelden auftut. Was geschieht, nachdem Mephisto von den Müttern berichtet: „Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit“? Was erlebt Faust in „ewig leerer Ferne“, wo jedes Sein ein Werden im Wandel ist? „Nichts wirst du sehn [...] / Den Schritt nicht hören, den du tust, / Nichts Festes finden, wo du ruhst.“ Hofmann&Lindholm inszenieren die Leerstelle und entwickeln auf Grundlage von Goethes Tragödie ein Bildertheater am Ursprung der Bilder - eine 'Uraufführung'.

Mit: Robert Christott, Roland Görschen, Lara Pietjou und dem Publikum
Konzept, Text, Regie: Hannah Hofmann, Sven Lindholm
Bühne:
Julian Marbach, Daina Kasperowitsch
Lichtdesign: Gregor Roth
Kostümassistenz: Paulina Immig
Live-Fotografie: Daniel Keller
Hundetrainerin: Petra Geier
Requisite: Adrian Vajzovic, Norbert Eitel, Uwe Puschmann
Inspizienz: Hans Beck
Dramaturgie: Anna Haas
Produktionsleitung: Silinee Damsa-Ard
Regieassistenz: Tobias Bergmann

'Uraufführung' ist eine Kooperation von Schauspiel Stuttgart und Hofmann&Lindholm, gefördert im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes. Hofmann&Lindholm werden durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.

Termine
16. März 2018
NORD, Schauspiel Stuttgart
17. März 2018
NORD, Schauspiel Stuttgart
25. März 2018
NORD, Schauspiel Stuttgart
11. April 2018
NORD, Schauspiel Stuttgart
25. April 2018
NORD, Schauspiel Stuttgart
Rezensionen
Lift Das Stuttgartmagazin, März 2018
Uraufführung
Ausgehend von einer rätselhaften Szene aus Goethes Faust II begibt sich das Künstlerkollektiv Hofmann&Lindholm in „Uraufführung“ auf einen verstörenden Trip, der Wirklichkeit dekonstruiert und sicher Geglaubtes ins Wanken bringt.
Esslinger Zeitung, 18. März 2018
Die Mütterszene aller Fake News
Gemäß der Ankündigung „nach einem Motiv aus Goethes ,Faust. Der Tragödie zweiter Teil’“ wird genau jene nicht existierende Mütterszene zur Matrix eines Theaterstücks, das ebenfalls nicht existiert. ...Eigentlich könnte es bereits sein Bewenden haben mit diesem zehnminütigen Prolog hinter der Bühne, dieser irgendwie genialen Publikumsverarschung zwischen tiefstem Sinn und höchster Absurdität, wo Goethe die Zunge lang macht und Beckett sie herausstreckt. Aber Hofmann&Lindholm führen ins Feld, wofür sie bekannt sind: die gegenseitige Verblendung von Fakten und Fiktionen, basierend auf einer sozialen Verabredung, der „Konstruktion einer kollektiven, frei erfundenen Erinnerung“. Und dazu bedarf es eines Pakts zwischen Publikum (Faust!) und Theatermachern (Mephisto!), es bedarf eingeweihter Komplizenschaft und bereitwilliger Wahrnehmung, und es braucht manipulierende „Erinnerungsstützen“ ... Am Ende gibt’s dann Blutwurst bei der geselligen Runde im Foyer, dem eucharistischen Mahl der Verbündeten. Unweigerlich gehört man zu ihnen, wird zum Komplizen, erst recht als Rezensent... Selbst im Vollbesitz kritischer Urteilskraft beteiligt man sich durch bloße Nacherzählung an der Produktion von Sinnillusionen aus Nichts. Diese Masche ist lückenlos, Hofmann&Lindholm haben damit – siehe Trump – ein Kommunikations- und Propagandaschema entlarvt: im Zeitalter der Online-Fake- und -Echoräume vielleicht das einzige wahre politische Theater.
Martin Mezger
nachtkritik, 17. März 2018
Die Uraufführung der Uraufführung beginnt jetzt, nachdem der unter ärztlicher Überwachung schlafen gelegte Kritiker die Augen geöffnet hat und das Stück zu Ende ist. Andererseits sollte ein Bericht über diese Uraufführung wohl besser mit dem Anfang beginnen - obwohl; das Stück hat ja ebenfalls mit dem Ende angefangen. Alles klar?
Nachdem eine überschaubare Anzahl von Zuschauern in die hinteren Hallen der Spielstätte Nord des Staatstheaters Stuttgart freundlich eingelassen wurden, finden wir uns in einer Art Rumpelkammer wieder. Ein Krankenhausbett mit Infusionsbeutel steht in einer Ecke und nach und nach ergreifen einige Personen ein Mikrophon und berichten von ihrer Geburt. Zur Bekräftigung zeigen sie Bilder, auf denen sie zusammen mit ihren Müttern als Neugeborene zu sehen sind. Die Erzählungen über ihre Geburten, das versichern sie glaubhaft, würden allerdings nur auf Hörensagen beruhen, da sie selbst damals zwar dabei gewesen seien, jedoch noch keine Worte besessen hätten und somit auch keine Erinnerungen.
Hier spannt sich der Bogen zu Faust II 'Der Abstieg zu den Müttern‘. Im allertiefsten Ursprung, so die Aussage, gibt es keine Worte, dort gibt es nur die Erfahrung des Jetzt, so dass selbst der Dichterfürst dafür keine Worte finden und deshalb von dem Ereignis nur indirekt erzählen konnte. Diese Idee des Indirekten wird nun zur Kernidee des Stückes 'Uraufführung‘, das demnach nur dadurch entstehen kann, indem wir, die Zuschauer und gleichzeitig die Handelnden dieses Stückes, im Nachhinein darüber reden, schreiben oder diskutieren. Deshalb ist dieser Text auch gleichzeitig ein Teil der Uraufführung.
In 16 kollektiven Erinnerungen, wie die folgenden Szenen bzw. Aufstellungen genannt werden, bewegen sich Zuschauer, Kulissen, Schauspieler frei und selbständig im Raum. Wer ist Schauspieler, wer ist Zuschauer, man weiß es nicht mehr so genau, die Grenzen werden diffus und unscharf. Ist jetzt der Kritiker, der schlafen gelegt wird, tatsächlich ein Zeitungsmann, ist er Schauspieler oder nur ein mutiger Zuschauer? Wer ritzt sich mit einem scharfen Messer das Handgelenk und lässt einige Tropfen Blut in eine Schale tropfen? Wer erzeugt die Töne mit dem Theremin und bewegt damit die Scheinwerfer? Wer wirft mit Eiern? Ist der Arzt, der seinen Ausweis herumzeigt, wirklich Arzt? Jeder wird über diesen Abend eigene Erinnerungen erzeugen. Zusammen mit den Anderen kann daraus eine kollektive Erinnerung erwachsen und sollte dies tatsächlich gelingen, wäre diese 'Uraufführung' weit mehr als nur ein Theaterstück.

Peter Schlegel
Stuttgarter Nachrichten, 18. März 2018
Verblüffende Antworten auf Gretchenfragen
Was Hofmann und Lindholm zu Goethes Mütter-Leerstelle eingefallen ist, besticht. In einem leeren, schwarzen Raum ohne jegliche Requisiten, auch er buchstäblich eine Leerstelle wie im „Faust“, steht eine Tribüne mit Sitzen für rund fünfzehn Zuschauer, der Rest hockt auf Bänken am Rand. Eine Art Stationentheater hebt nun an, durchnummeriert bis 16, die Themen werden auf eine Wand projiziert, bisweilen wundervoll formuliert: „Nr. 7. Faust in gieriger Landschaft.“ Nr. 3 lautet: „Kritiker wird auf der Bühne in Vollnarkose versetzt.“ Dazu wird ein Krankenbett in den Raum gerollt, in das sich keine Bühnenfigur legt, sondern der real existierende Kritiker und Autor unserer Zeitung, Thomas Morawitzky, um nun von dem veritablen Stuttgarter Anästhesisten Ralf-Kersten Weber in Vollnarkose versetzt zu werden. Das Publikum tritt staunend heran. ... Überhaupt: Die Performance von Hannah Hofmann und Sven Lindholm bringt die Zuschauer im Nord mächtig in Bewegung, wie auf einer Piazza kreuzen sich die Wege der Zuschauer. Jene Zuschauertribüne wird auf der Bühne alle paar Minuten verschoben, und auch die Zuschauer wechseln laufend ihren Standort, denn sie werden mit einem Panoptikum diverser Bildideen konfrontiert. ... So wie Faust in der Gretchentragödie Befriedigungskitzel erlebt, den ihm Mephisto zu verschaffen versucht, wird man als Herumschlendernder im Nord in irgendeiner Bühnenecke immer wieder mit neuen Seltsamkeiten konfrontiert. ... Zu erleben ist eine manchmal rätselhafte, aufregende und richtig unterhaltsame „Faust“-Annäherung. Langer Applaus.
Cord Beintmann
Stuttgarter Nachrichten, 14. März 2018
Goethe und das schlaue Lachen
Uraufgeführt wird schlicht die „Uraufführung“ – und mit diesem sich auf den Theaterbetrieb beziehenden Titel lösen Hofmann&Lindholm sofort Meta-Alarm aus: Achtung! Wir denken über unsere Arbeit nach, öffentlich und grundsätzlich, nicht im Büro, sondern auf der Bühne! Will man das sehen? Modische Selbstreflexion, in der das Theater nur um sich selbst kreist? Nun, wenn die Nabelschau von Hofmann&Lindholm stammt, darf man zumindest gespannt sein. Ihre Unternehmungen beschweren die beiden zwar gerne mit einem gewaltigen theoretischen Überbau, ihre Inszenierungen aber streifen glücklicherweise alle seminaristischen Gewichte ab und entpuppen sich oft als verblüffend leicht, witzig, spielerisch. ... Simulation, das So-tun-als-ob, wird auch im neuen Bühnenlaborversuch von Hofmann&Lindholm wieder eine Rolle spielen. Der Ausgangspunkt: Goethes „Abstieg zu den Müttern“ aus „Faust II“, eine Reise ins Unbewusste, die schon bei Goethe insofern nur eine Behauptung ist, als er sie szenisch kaum ausführt. Und genau dies, eine schiere Behauptung, soll sie auch in der offensiv mit Leerstellen arbeitenden Inszenierung des Duos bleiben, das aber – der Clou der Sache – mit dem Publikum einen faustischen Pakt schließt: ... Es geht um ...., die „Konstruktion einer kollektiven, auch nach Wochen noch belastbaren Erinnerung“.
Roland Müller
Online Merker, 17. März 2018
Der Kritiker bekommt eine Vollnarkose
Der Abstieg zu den Müttern aus Goethes „Faust II“ steht im Mittelpunkt der Handlung dieser Inszenierung des Autorenkollektivs Hofmann & Lindholm, das sich damit zum ersten Mal mit einem klassischen Bühnenstoff beschäftigt. Diese Episode besteht nur aus einer vielsagenden Auslassung zwischen der Vorbereitung des Abstiegs und dem Wiederauftauchen des Titelhelden. Zugleich wird ein Kritiker der Stuttgarter Nachrichten bei dieser Inszenierung in Vollnarkose versetzt, nachdem er sich aufs Bett gesetzt hat und fotografiert worden ist. ... Ein aufgebrachter Zuschauer wirft ein Ei, ein ausgelassener Hund springt immer wieder zu Pfeiftönen über den Teppich, Requisiten werden herbei- und weggeschafft. Das Illusionstheater versinkt im Nebel, der Fleischvorhang offenbart tierische Weichteile, Holz, Metall, der Abstieg vollzieht sich in Resten, Scherben, Bruchstücken. Faust befindet sich plötzlich im empathischen Zwiegespräch mit einer Gestalt organischer Natur. Der Pakt vollzieht sich hier mit diversen Klingen, Blut, Desinfektionsmitteln, Petrischale, Schweineschwarten, Zwiebeln, Naturdarm und einem Fleischwolf. Faust begegnet auch einer verirrten Dame in historischem Gewand mitsamt Freitreppe oder steht inmitten einer gierigen Landschaft mit Karnivoren, Klappfallen und Nährstoffen. Faust fragt nach Ursache und Wirkung der Quelle aller Bilder. Die Hundemeute bringt ihm dann die große Erkenntnis über die Furien. Und beim Aufstieg befindet sich der Körper zugleich im freien Fall.
Alexander Walther
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